Aus den BNN vom 14.7.2024
Die Premiere von „Sein oder Nichtsein – Heil Hamlet“ überzeugt bei den Schlossfestspielen
In Ettlingen sind die Nazis knallorange
Der überdrehte Regisseur ist völlig durch den Wind, der Hauptdarsteller und die Diva liefern sich einen Wettbewerb in Sachen Eitelkeit. „Sein oder Nichtsein“, das wohl bekannteste Zitat von William Shakespeare, bezieht sich bei der jüngsten Premiere der Ettlinger Schlossfestspiele nicht nur auf dessen Stück „Hamlet“. Dass es im Wortsinn um das nackte Überleben geht, zeigt sich in der Komödie „Sein oder Nichtsein“ von Nick Whitby nach dem gleichnamigen Film von Ernst Lubitsch schnell genug.
Eigentlich will das Ensemble des Polski Theaters eine Anti-Nazi-Komödie aufführen, dafür haben sie sich passende Kostüme beziehungsweise Uniformen geschneidert. In Ettlingen sind die Nazis knallorange (Kostüme: Gesa Gröning). Darsteller Grünberg soll Hitler spielen und tut das umwerfend. Er tänzelt wie ein Model nach vorne und haucht als Antwort auf die „Heil Hitler“-Rufe des Ensembles „Ich heil mich selbst“.
Der erste Lacher von vielen im Lauf des Stückes. In kürzester Zeit werden sämtliche Theaterklischees abgehandelt. Grünberg ist sauer, weil er eigentlich gar keinen Text hat. Der Regisseur ist verzweifelt, weil kurz vor der Premiere noch nicht ein Durchlauf geklappt hat. Das Hauptdarsteller-Ehepaar Josef und Maria Tura streitet sich, wer der bessere Schauspieler ist. Doch der Beamte der Zensurbehörde kommt mit der Mitteilung, dass dieses Stück aus Rücksicht auf das Nazi-Regime nicht gespielt werden darf. Stattdessen fordert er Schauspielerin Eva auf, eigens für ihn zu sterben, weil er ihren Tod als Ophelia so schön findet.
Also spielt das Polski Theater zum 303. Mal „Hamlet“ in einer schrägen Kurzversion. Philipp Butz hat als Hamlet-Darsteller Josef Tura kaum mehr zu tun als zu posieren, zu zucken und zu sterben. Dabei sieht er, wie ein gutaussehender junger Mann im Zuschauerraum aufsteht und geht. Es handelt sich um Fliegerleutnant Sobinsky, der in Maria Tura verliebt ist.
Die wiederum nutzt Hamlets langen Monolog, um mit Sobinsky eine Affäre anzufangen. Yannic Blauert spielt Sobinsky geradezu rührend naiv. Lotta Hackbeil verleiht Maria Tura das Auftreten eines Filmstars der 1930er Jahre. Und sie beherrscht alle Facetten des Flirtens. Während man sich also durch „Hamlet“ als Nummernrevue im Burlesque-Stil hangelt, bricht der Krieg aus. Das Bühnenbild von Christian Held zeigt hier seine Stärke: Die Bretter, auf denen eben noch gespielt wurde, brechen.
Von den deutschen Truppen aus ihren Wohnungen vertrieben, richtet sich das Ensemble im Theater ein und sammelt sich frierend um den Kohleofen. Dann taucht der verwundete Sobinsky auf und verwickelt das Polski Theater in die Rettung des polnischen Widerstands.
Professor Silewski, der für die Gestapo spioniert, soll in Warschau Gruppenführer Erhardt eine Liste mit Namen von Widerstandskämpfern übergeben. Mit den Nazi-Kostümen aus der nicht aufgeführten Anti-Nazi-Komödie wollen die Schauspieler Silewski vorgaukeln, er sei im Gestapo-Hauptquartier. Sascha Stead gibt den Professor herrlich skurril. Leider klappt die List nicht ganz so wie geplant. Der Professor wird erschossen, Maria Tura von der Gestapo abgeholt.
Gruppenführer Erhardt erweist sich ebenfalls als schräger Vogel, der einer Nudisten-Bergsteigergruppe angehört und einen Fitness-Wahn pflegt. Die arme Maria muss in ihrem langen weißen Kleid auf seinen Befehl hin Seilspringen. Dirk Wittun gelingt es, der Figur des Erhardt eine Art brutalen Charme und ausreichend Bösartigkeit zu geben. Zu gern würde Erhardt mit der schönen Maria anbandeln. Sie geht zum Schein darauf ein. Lotta Hackbeil lässt da zugleich die Angst und den Widerwillen Marias durchscheinen. Um die Namensliste und auch das Ensemble des Polski Theaters vor dem Zugriff der Gestapo zu retten, schlüpft Josef Tura in die Rolle seines (Über-)Lebens. Er spielt Erhardt erst den Professor und dann einen polnischen Nazi vor.
Tempo und Timing von Solvejg Bauers Inszenierung stimmen. Es gibt bewusst überdrehten Klamauk, aber auch ernste Momente. Zum Erfolg der bejubelten Premiere von „Sein oder Nichtsein“ trägt auch die zwischen Klezmer, osteuropäischer Volksmusik und Jazz angelegte Musik der Gruppe „Black Sea Shipping Company“ bei.
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