Queeres Musical „Soho Cinderella“ überzeugt bei den Ettlinger Schlossfestspielen
Bericht aus den BNN vom 1.7.23

Ettlingen. Eine toughe Anwältin, ein skrupelloser Wahlkampfmanager und ein Waschsalon: Auf den ersten Blick hat das Musical „Soho Cinderella“ kaum etwas mit der traditionellen Aschenputtel-Geschichte gemeinsam. Die Märchenadaption, die bei den Schlossfestspielen Ettlingen in seiner deutschsprachigen Fassung uraufgeführt wurde, ist anders – und das ist auch gut so.

Denn den Autoren George Stiles und Anthony Drewe ist es gelungen, Grundmotive des Grimm’schen Märchens in ein Großstadtmusical zu verwandeln, das Sichtbarkeit für queeres Leben schafft und dabei moderner, zeitgemäßer und erfrischender kaum sein könnte.

Aus Cinderella wird ein queerer Student, der sich als Escort über Wasser hält, die Handlung wird kurzerhand ins heutige London verlegt. „Soho Cinderella“ ist bunt, lebendig und schrill; genau wie der Londoner Stadtteil Soho, der damit den idealen Schauplatz für das moderne Märchen bietet.

Die Geschichte erzählt davon, wie viel Mut es kostet, zu sich selbst zu stehen, und wie verwinkelt und steinig Lebenswege sein können. Doch das ist nicht alles. „Soho Cinderella“ besteht aus mehreren Handlungssträngen, die in der Inszenierung von Christian Stadlhofer gekonnt miteinander verwoben werden.

Der Fokus liegt dabei auf der Figur des verarmten Studenten Robbie, der sich ausgerechnet in den aufstrebenden Jungpolitiker James Prince verliebt. James wiederum möchte sein Ziel, Bürgermeister von London zu werden, nicht gefährden, weshalb er sich vor einem Outing scheut und die Beziehung zu seiner Verlobten, der Anwältin Marilyn Platt, aufrechterhält.

Und dann sind da noch der skrupellose Wahlkampfmanager William, der eine Mitarbeiterin sexuell belästigt, Robbies fiese Stiefschwestern und die herzliche Velcro, die sich nach der großen Liebe sehnt.

Zur Sprache kommen Themen wie Machtmissbrauch, Sexismus, Betrug, Armut, Prostitution, Schönheitswahn und viele mehr – das alles ist wichtig, das alles ist es wert, auf der Bühne verarbeitet zu werden, das alles ist aktueller denn je.

Ein Weniger hätte dem Stück dennoch gutgetan, denn aufgrund der vielen Nebenhandlungen fehlt es der Geschichte teilweise an Tiefe, an Raum für die Figuren, deren Entwicklung und deren Schicksal.

Auf die zentralen Rollen trifft dies zum Glück nicht zu. Diese sind gut durchdacht, liebevoll gezeichnet und gerade in ihrer Vielfalt absolut überzeugend. Besonders hervorzuheben ist die toughe Anwältin Marilyn; eine zunächst etwas unscheinbar wirkende Figur, die sich jedoch nach und nach zur wahren Heldin des Stücks entwickelt.

Sie ist es, die am Ende alles zum Guten wendet, die Robbie und James dazu ermutigt, zu sich selbst zu stehen, die nie ihren Stolz verliert, die stets klug und bedacht handelt und im großen Finale sogar Robbies Geldsorgen ein Ende bereitet.

Lina Gerlitz spielt diese starke Frau mit enormer Bühnenpräsenz und einer Ausstrahlung, die keiner der anderen Darsteller oder Darstellerinnen zu überstrahlen vermag. Darüber hinaus begeistert sie mit ihrem eindrucksvollen Gesang.

Musikalisch sind es vor allem die ruhigen Songs, die überzeugen. Und es sind genau diese emotionalen, besinnlichen Szenen, diese Gänsehautmomente, die darüber hinwegsehen lassen, dass „Soho Cinderella“ teilweise etwas zu überladen und überdreht wirkt.